Gleiche Bildungschancen für alle

Zu sehen sind die Teilnehmer*innen des Heidelberger Bildungspolitischen Gesprächs.

Pisa zeigt: Grundschulkinder tun sich beim Lesen und Schreiben schwer. Wie Wissenschaft, Politik und Gesellschaft die Situation verbessern wollen, wurde im März in der PH Heidelberg diskutiert. Birgitta berichtet.

„Wir können es nicht zulassen, dass Kinder unserer Gesellschaft zurückgelassen werden“, mahnte Rektorin Karin Vach in ihrer Begrüßung beim 2. Heidelberger bildungspolitischen Gespräch über die Zukunft der Bildung. Und sagte weiter: „Wir alle sind in der Verantwortung, dieser Entwicklung entgegenzuwirken, damit jedes Kind die Chance auf ein erfülltes Leben hat.“

Wie Recht sie hat! Als Soziologin und Mutter bin ich irritiert, dass es in unserem wohlhabenden Staat immer noch nicht gelungen ist, den Zusammenhang von Schulerfolg und sozialer Herkunft aufzubrechen. Allen Pisa-Schocks seit 25 Jahren zum Trotz haben Kinder mit Migrationshintergrund nach wie vor niedrigere Bildungsabschlüsse als solche aus Akademikerhaushalten. Arbeiterkinder sind immer noch völlig unterrepräsentiert an Hochschulen.

Ich war gespannt, ob die eingeladenen Expert:innen aus Wissenschaft und Politik neue Antworten auf diese tradierten Missstände haben. Bei der Podiumsdiskussion Mitte März waren jedenfalls viele von ihnen der Einladung nach Heidelberg gefolgt, und auch zahlreiche interessierte Zuhörende hatten sich in der Festhalle trotz der Semesterferien versammelt.

Üben, üben, üben

Professor Michael Becker-Mrotzek, Mitglied der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz, verwies in seiner Keynote jedenfalls auf ein einfaches wie wirksames Mittel, wie Lesen, Schreiben und Rechnen in der Grundschule verbessert werden könnten. Üben, üben, üben ist sein Motto, einmal aufs Wesentliche herunter gebrochen. Denn so wie ein Sportler zigmal trainieren müsse, den Ball in den Korb zu treffen, müsse es auch in den Bereichen der basalen Kompetenzen selbstverständlich werden, regelmäßig zu üben, betonte Becker-Mrotzek.

20 Minuten tägliches Lesetraining in der Grundschule würden schon viel bringen. Genau!, dachte ich beim Zuhören, und wunderte mich zugleich, dass so ein grundlegendes Rezept für Erfolg wohl in den Grundschulen ein bisschen aus der Mode gekommen zu sein scheint. Gut fand ich auch seine Idee, die Kinder beim Lesenlernen mehr mit Themen abzuholen, die ihren eigenen heutigen Lebenswelten entsprechen. Mit Geschichten von vor 20 oder 30 Jahren, wie im genutzten Unterrichtsmaterial, sei nicht auf brennendes Interesse beim Nachwuchs zu hoffen, unterstrich der Wissenschaftler zurecht.

In frühe Sprachförderung investieren

Auch Daniel Hager-Mann, Ministerialdirektor im Kultusministerium Baden-Württemberg, betonte in seinem Vortrag die Bedeutung der frühen Bildung: Man wolle die Sprachförderung in den Kindertageseinrichtungen sowie das Lesetraining in der Grundschule gezielt ausbauen. Rund 30.000 Kinder hätten derzeit Bedarf, also etwa ein Drittel jedes Jahrgangs. Wichtig sei auch die Entlastung der Schulleitungen durch multiprofessionelle Teams, sagte er. Verwaltungsexpert:innen und Sozialarbeiter:innen gleichermaßen könnten hier helfen.

Bei all den neuen Ideen nutze man unter anderem gute Konzepte aus anderen Bundesländern sowie das Know-how ausgewiesener Wissenschaftler:innen wie Professorin Havva Engin von unserer Hochschule. Als Expertin der interkulturellen Pädagogik ist sie Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Kultusministeriums und berät die Regierung. Das macht mir Mut, so kompetente und praxisnahe Forscherinnen wie Havva Engin hier engagiert zu wissen.

Nicht an finanziellen Mitteln scheitern!

Dann die Podiumsdiskussion, die Wissenschaftsjournalist Armin Himmelrath mit viel provokantem Witz gut im Griff hatte. In der Diskussion wurden insbesondere Differenzen deutlich, was zukünftig zu tun sei: So wurde von der bildungspolitischen Sprecherin der Sozialdemokraten Katrin Steinhülb-Joos gefordert, endlich mutig neue Wege zu gehen, die nicht an finanziellen Mitteln scheitern dürften. Damit ist auch gemeint, die Grundschullehrkräfte ebenso gut zu bezahlen wie andere Pädagog:innen. Dr. Timm Kern (FDP/DVP) und Daniel Hager-Mann verwiesen hingegen gleich auf strukturelle Restriktionen. Und darauf, dass man das Geld besser direkt in Frühe Sprachförderung investieren sollte.

Arbeitszeit von Lehrkräften neu definieren?

Interessant und provokativ war der Vorschlag von Myrle Dziak-Mahler, die Arbeitszeiten der Lehrkräfte zu überdenken. Damit zielte sie nicht auf eine Erhöhung der Deputate oder eine Einschränkung der Teilzeitregelungen, sondern eine Neudefinition der Arbeitszeiten selbst. Das heißt, dass die Lehrkräftearbeitszeit eine normale Arbeitszeit wird, die nicht in Stundendeputaten gemessen wird. Dann profitiert nicht mehr derjenige, der wenig Vor- und Nachbereitungszeit hat. Eine solche Gesamtarbeitszeit ließe sich auch für Netzwerktreffen und Fortbildungen nutzen. Guter Ansatz, finde ich.

Demokratie ist die Grundlage unserer Gesellschaft

Einig waren sich die Diskutant:innen, zu denen außerdem Thomas Poreski (GRÜNE), Christiane Staab (CDU) sowie Landesschulbeiratsvorsitzender Thomas Speck gehörten, dass alle Kinder das Recht auf gute Bildung haben, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem sozialen Status.

Teilhabe an Bildung sei essentiell für die Aufrechterhaltung der Demokratie – ein weiterer Aspekt, der von allen betont wurde. Und den ich für besonders wichtig halte: Bildung bewahrt doch bekanntlich auch vor politischem Extremismus, mit dem nicht nur Deutschland derzeit viel zu kämpfen hat. Und Demokratie ist unsere wichtigste gesellschaftliche Grundlage.

Autorin: Dr. Birgitta Hohenester von der Abteilung Presse & Kommunikation ist für verschiedene Hochschulpublikationen verantwortlich, für Fotografie und ist Mitglied der Social-Media-Redaktion.

Kommentare

Eine Antwort zu „Gleiche Bildungschancen für alle“

  1. Karin Vach

    Danke, liebe Frau Hohenester, für den pointierten und persönlichen Bericht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

DSGVO Cookie Consent mit Real Cookie Banner