Who cares? Care-Arbeit sichtbar machen

Zu sehen ist eine Küche mit Geschirr.

Von Kinderbetreuung über Haushalt bishin zur Pflege: Angela Häußler wirft einen Blick auf die oft unsichtbare, aber systemrelevante Care-Arbeit und ihre Bedeutung für den Alltag in Schule, Studium und Beruf.

Am 29. Februar ist Equal Care Day. 2016 haben die Autor:innen Almut Schnerring und Sascha Verlan den Aktionstag begründet und diesen Tag der meist unsichtbaren Care-Arbeit gewidmet. Ein passender Anlass und gute Gelegenheit, die Care-Arbeit an unserer PH Heidelberg sichtbar zu machen.

Mit Care-Arbeit ist all das gemeint, was wir jeden Tag für unsere Versorgung oder die Versorgung anderer leisten: vom Einkaufen, Essen vorbereiten, Wäsche waschen oder Bad putzen bis zur Kinderbetreuung und Pflege bei Krankheiten. Alles wichtige Voraussetzungen dafür, dass wir arbeits- und studierfähig an die PH kommen können. Care-Arbeit ist also absolut systemrelevant, wird allerdings kaum als Arbeit wahrgenommen und anerkannt. Care-Arbeit fällt erst auf, wenn sie nicht gemacht ist; der Kühlschrank leer und das Bad ungeputzt bleibt.

Endlich aus dem Elternhaus ausgezogen und im Hochschulalltag angekommen merkt man, wie stressig es sein kann, sich neben dem Studileben um alle Haushaltsarbeiten allein kümmern zu müssen. Das ist schon anspruchsvoll, wenn man nur sich selbst versorgen muss, wie es bei einem Großteil der PH-Studierenden der Fall ist. Es wird selbstverständlich erwartet, dass man seinen Alltag irgendwie organisiert bekommt.

Mehr Care- und Haushaltsarbeit als Erwerbsarbeit

Da die meist unsichtbare Care-Arbeit in Umfang und Anspruch grundsätzlich unterschätzt und als trivial wahrgenommen wird, erwarten viele Studierende auch, die Haushaltsarbeit locker nebenbei erledigen zu können. Es kann Quelle von Frust und Stress sein, wenn das nicht so richtig gut klappt. Spätestens in Lern- und Prüfungsphasen oder im anspruchsvollen Semesterpraktikum (ISP) fällt auf, dass sich der Haushalt nicht von allein erledigt und sich ein Rückstau deutlich auf Lern- und Lebensqualität auswirken kann.

Dass Care- und Haushaltsarbeit alles andere als trivial ist, zeigen auch Zahlen des Statistischen Bundesamts: In Deutschland liegt die insgesamt aufgewendete Zeit für unbezahlte Arbeit deutlich über der Zeit für bezahlte Erwerbsarbeit. Der Löwenanteil davon entfällt auf private Care-Arbeit, die wiederum überwiegend von Frauen übernommen wird.

„Young Carers“ – auch an der PH

An der PH gibt es viele Studierende, die nicht nur für sich selbst sorgen müssen, sondern die sich obendrein auch verantwortlich um andere kümmern. Dies sind zum einen studierende Eltern: Sie jonglieren zwischen Betreuungszeiten der oft noch sehr kleinen Kinder und Seminarzeiten. Obendrein müssen sie trotz vielfach unterbrochener Nächte das Lernen für Klausuren und die Arbeit an Bachelor- oder Masterarbeit irgendwie bewältigen. Auch wenn Dozierende teilweise Rücksicht auf Bedürfnisse studierender Eltern nehmen, liegt die Hauptlast der Jonglage zwischen Kind und Hochschule (und damit von zwei nur schwer miteinander zu vereinbarenden Welten) jeden Tag und jedes Semester wieder bei den Studierenden selbst.

Aber es gibt noch eine andere, strukturell weitgehend unsichtbare Gruppe Studierender, die intensiv in die Versorgung und Pflege von Familienmitgliedern eingebunden ist. Nicht wenige Studierende kümmern sich regelmäßig und teilweise fast alleinverantwortlich z.B. um den geistig behinderten Bruder, die demente Großmutter oder den psychisch erkrankten Vater.

Da es in der Natur von Fürsorge- und Pflegearbeit liegt, dass sie nicht unabhängig von Zeit und Ort erledigt werden kann, sondern sich direkt und zuallererst an den Bedürfnissen der zu Pflegenden orientiert, ist die Organisation des Studi-Alltags für pflegende Studierende eine enorme Koordinierungsaufgabe. Dazu kommt, dass in der Regel keine Zeit und Energie mehr übrig ist, um Geld zu verdienen.

Wenn sich Lehrkräfte ums Frühstück kümmern

Da wir an der PH eng mit Schulen verbunden sind und angehende Lehrer:innen ins Schulleben entlassen, ist auch ein Care-Blick auf Schulen interessant. Es wird geschätzt, dass etwa 2 bis 5 Prozent der Schüler:innen Angehörige pflegen (meist chronisch erkrankte Eltern oder Großeltern), pro Schulklasse im Schnitt also etwa ein:e Schüler:in. Dies führt zu einer enormen Belastung für die pflegenden Jugendlichen und teilweise auch schon Kindern, da diese aus der Not heraus eine nicht altersgerechte Verantwortung übernehmen und Care-Lücken in ihrer Familie schließen.

Die Situation bleibt an Schulen oft unerkannt, da die betroffenen Schüler:innen nicht oder kaum darüber sprechen – nicht zuletzt um ihre Familien zu schützen. Die enorme psychosoziale Belastung für die pflegenden Jugendlichen und Kinder liegt aber sicher auf der Hand. (Hilfsangebote gibt es u.a. bei Young Carer Hilfe gemeinnützige UG und Young Carers.)

In der Schule wird kaum wahrgenommen, was Familien bis zur Einschulung an Care-Arbeit geleistet haben und jeden Tag wieder leisten, um Kinder schul- und lernfähig in die Schule zu schicken zu können. Auch hier fällt die fürsorgliche Care-Arbeit erst auf, wenn diese eben nicht im erwarteten Maß von den Familien erbracht und von Lehrer:innen mit aufgefangen wird, z.B. in dem sie sich um ein Frühstück vor Schulbeginn kümmern.

Da in den meisten Familien die Hauptverantwortung für Erziehung und Versorgung bei den Müttern liegt, geraten diese schnell ins Visier der Schule. Das ist aber insofern ungerecht, da es besonders vulnerable Gruppen trifft, die aufgrund ihrer eigenen Lebenssituation nicht ausreichend Ressourcen für alle notwendige Care-Arbeit haben.

Care at Work

Auch im Alltag an der PH Heidelberg ist die nebenbei und von manchen selbstverständlich und lautlos geleistete (und von manchen selbstverständlich in Anspruch genommene) Care-Arbeit eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich alle wohlfühlen. Das kann das Kümmern um Getränke und Snacks für ein Meeting oder um einen Blumenstrauß zum Geburtstag des Kollegen sein. Den meisten fallen sicher noch viele andere Beispiele aus dem Arbeits- und Studiumsalltag ein. Das ist aber noch mal einen eigenen Beitrag wert.

Im Sinne des Equal Care Day ist es aber umso wichtiger, dass wir Care Arbeit nicht als selbstverständlich erachten, sondern sie wahrnehmen, darüber sprechen und wertschätzen – egal, ob im Zuhause, im Studium oder Arbeitsalltag.

Deshalb: Danke an alle, die sich jeden Tag wieder darum kümmern den eigenen Alltag und den ihrer Mitmenschen angenehm zu gestalten.

Zu sehen ist ein Portrait von Angela Häußler.
Angela Häußler. Foto: PHHD.

Autorin: Angela Häußler ist Professorin für Alltagskultur und ihre Didaktik an der PH Heidelberg

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