In der quirligen Medina

Zu sehen ist eine belebte Straße mit Marktständen in Marrakesch.

Marokko ist nicht nur ein beliebtes Urlaubsziel, sondern auch Partnerland der PH Heidelberg. Lissy Jäkel betreut die Zusammenarbeit – und hat das Land nach dem schweren Erdbeben 2023 besucht. Ein Reisebericht.

Seit 2001 ist die PH Heidelberg mit Universitäten und Hochschulen in dem nordafrikanischen Königreich Marokko wissenschaftlich und sehr freundschaftlich verbunden. Seit fast 10 Jahren bin ich neben meiner Rolle als Professorin für Biologie und ihre Didaktik auch die Verantwortliche für die Kooperation mit Marokko. Zuletzt führte eine Biologie-Exkursion mit Studierenden im März 2020 nach Marrakesch. Während der Corona-Pandemie ruhten die gegenseitigen Besuche für einige Zeit.

Die lange Pause im Lehrbetrieb zum Jahreswechsel 2023/24 nutzte ich für eine Vor-Ort-Recherche in Marokko. Was hat sich verändert seit der internationalen Klimakonferenz in Marrakesch 2016, seit der Corona-Pandemie und seit dem Erdbeben im Atlas im September 2023, dessen Auswirkungen bis Marrakesch reichten? Das Erdbeben verschob auch meine Reise nach Marokko. 

Wintersonnenwende unter Palmen

Zur Wintersonnenwende (also zu Weihnachten, das in Marokko nicht gefeiert wird) geht die Sonne in Marrakesch gegen 8.30 Uhr auf und gegen 18.30 Uhr unter. In Marrakesch wird jeder Tag quirlig und spät beendet – vor allem auf dem Platz Djemaa-el-Fna. Dieser wurde bereits vor 22 Jahren als immaterielles Erbe der Menschheit von der UNESCO als Weltkulturerbe gewürdigt. Es drängen sich Geschichtenerzähler, Musiker:innen und scharenweise neugierige Tourist:innen wie Einheimische auf dem großen Platz, Klein- und Kochkünstler:innen und etliche Handeltreibende buhlen lautstark um die Zuwendung der Flanierenden und treten intensiv mit ihnen in Interaktion.

Dieses Treiben gleicht sich seit Jahrzehnten, die Zahl der Tourist:innen hat jedoch enorm zugenommen. Marokko ist längst kein Geheimtipp mehr, sondern ein attraktives Reiseziel, insbesondere wohl zum Jahreswechsel. Es werden jedoch keine Böller und Raketen, kein Feuerwerk aus Pyrotechnik gezündet, sondern das Jahr wird im quirligen Getümmel unter Palmen verabschiedet.

Heimisch ist in Marokko übrigens die Zwergpalme. Alle anderen Palmen sind floristische Zugezogene, die aber schon seit Jahrzehnten hier wachsen. Wie leider überall, so werden auch hier im Stadtbild eher auffällige Pflanzen aus aller Welt kultiviert (Eukalyptus, Araukarie, Bougainvillea, australische Silbereiche etc.) anstelle heimischer Pflanzen wie Johannisbrot oder Retama. Heimische Arten findet man dann exemplarisch im Botanischen Garten. 

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit?

Nachhaltigkeit spielt für den nordafrikanischen Staat eine wichtige Rolle. Hier fand 2016 auch die Weltklimakonferenz mit über 26.000 Teilnehmenden statt. Was merkt man davon heute noch?

Die Forderung „sans plastique“ war sehr wichtig, um der Plastikvermüllung der Meere und übrigen Umwelt wirksam zu begegnen. Die Plastiktüten, die noch vor einem Jahrzehnt aus der Entfernung fast wie unzählige flatternde Vögel in der marokkanischen Landschaft wirkten, sind aus dem Stadtbild seitdem fast verschwunden. Die Händler verwenden überwiegend Beutel aus Vlies für ihre wortreich gepriesenen und an den Mann oder die Frau gebrachten glitzernden Waren, die köstlichen regionalen Mandarinen, Orangen, Avocados und andere Gemüse oder für Textilien.

Doch globale Ketten gibt es im modernen Marrakesch natürlich ebenso wie elegante Supermärkte oder Cafés. Der köstliche, frisch gepresste Orangensaft auf dem Platz Djemaa-el-Fna und an anderen Orten wird aber nicht mehr aus Mehrweggläsern, sondern mit Plastikstrohhalmen und zudem aus Einweg-Plastikbechern gereicht. Wie schade! Stattdessen kann man die typischen Teegläser aus recyceltem Altglas allenthalben kaufen – blau oder glasklar aus Wasserflaschen, grün aus anderem Altglas.

Reisen mit dem ÖPNV

Das dichte Gedränge in den Souks, das endlos scheinende Warten in gedrängte Schlangen auf die Passkontrollen vereint Menschen aus Indien, England, Holland, Italien, Deutschland, der Schweiz und etlicher anderer Herkünfte. Die Marokkaner:innen sind sich des Wertes ihrer faszinierenden Kulturschätze bewusst. Die Preise für die Museen und Paläste sind mit teils über 70 Dirham (das sind etwa 7 Euro) leider nicht mehr studierendenfreundlich. Aber es gibt weiterhin öffentliche Parks, u.a. den bekannten Cyber-Park.

Die Stadtbusse in Marrakesch kann man hübsch gedrängt für 4 Dirham benutzen. Vorbildlich und preiswert funktionieren Überlandbusse. Der Bus-Bahnhof blinkt und blitzt, ganz dicht am beeindruckenden Bahnhof der Eisenbahn. Soupratour muss zwar rechtzeitig gebucht werden, fährt dann aber wie auch schon vor Corona pünktlich und zuverlässig über Land, zum Beispiel nach Essaouira an den Atlantik.

Schnell kommt es dabei immer wieder zu Gesprächen mit freundlichen Menschen. Ganz unbemerkt lassen wir die berühmten Fundstellen von Homo sapiens rechterhand liegen (Evolutionsbiolog:innen sind über die sensationellen Funde aus der vor 300.000 Jahren noch grünen Sahara im Tal Jebel Irhoud begeistert, die Laien kennen es nicht). Doch Fossilien des Erdaltertums werden in Marokko in jedem Souk (Basar) gehandelt, so tauchen Lehrinhalte der Biologie-Masterstudien wie fossile Orthoceras oder Trilobiten allenthalben im marokkanischen Alltag auf.

Der Atlantik und die zauberhafte Stadt Essaouira sind nicht nur Ziel von Tourist:innen, sondern auch von den Städter:innen Marokkos, die hier Erholung am Meer suchen. Es bleibt zu hoffen, dass der Bauboom am Strand nicht weiter anhält. Das lehrerbildende Institut (C.F.I. bzw. C.R.M.E.F.) war bereits vor Jahren direkt von der Standpromenade um ein paar Kilometer an den Rand des Ortes verlegt worden – auch dort wird nun eifrig weiter gebaut.

Umgang mit der Umwelt

Essaouira war die erste Stadt in Marokko, die eine öffentliche Müllentsorgung installierte, war Vorreiter im Agenda-Prozess. Noch gibt es dort Fisch aus dem Atlantik, die Boote scheinen aber größer zu werden und der Hafen ist, wie vieles andere auch, eine ewige Baustelle. Schneller dagegen werden die Erdbebenschäden in Marrakesch repariert, zusammengefallene Häuser in der Medina innerhalb weniger Tage neu aufgebaut, oder sie stehen unbemerkt leer. Viele Gassen sind abgestützt – aber der Betrieb geht weiter. Und wenn um 7 Uhr früh etwas durch die Gassen der alten Medina rumpelt, dann ist das kein Rollkoffer, sondern der Müllmann, der nun auch in Marrakesch hilft, die Gassen einigermaßen zu entmüllen. Bis zum nächsten quirligen Abend in der Medina …

Die Wasserversorgung in den Gärten von Marrakesch und der Region des Gemüseanbaus in der Mitte Marokkos ist eigentlich trickreich und technisch ausgefeilt – aber sie hängt unmittelbar vom Schnee im nahegelegenen Atlasgebirge ab. Zum Jahreswechsel waren die sichtbaren Berge des Altas ohne Schnee. Die Wasserversorgung steht vor großen Herausforderungen.

Auf die Freundlichkeit und Herzlichkeit der Menschen trifft man in kleinen Gesten im persönlichen Umgang. Sie machen weitere Besuche lohnenswert – wenn es nur nicht so eine weite Anreise wäre. Die bewährte Kooperation mit dem kulturvollen Land des Maghreb werden wir auf jeden Fall mit Freude und weiteren Begegnungen fortsetzen.

Zu sehen ist die Professorin Lissy Jäkel im Ökogarten.
Lissy Jäkel. Foto: PHHD.

Autorin: Lissy Jäkel, Senatsbeauftragte für Hochschulpartnerschaften mit Marokko

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