Mein Weg an die Pädagogische Hochschule fängt in Schweden an.
Ich habe 22 Jahre lang in einer Werkstatt für behinderte Menschen in Heidelberg-Rohrbach gearbeitet. Eines Tages habe ich dann ein Plakat von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg gesehen. Karin Terfloth und Theo Klauß organisierten eine Exkursion nach Schweden, um zu schauen, wie Menschen mit Behinderung dort leben und wie das Sozialsystem dort funktioniert.
„Vielleicht kannst du an der PH unterrichten?“
Die Exkursion war spannend, aber auch teuer. Sie kostete für fünf Tage fast 1000 Euro. In der Werkstatt habe ich nicht viel Geld verdient und musste mir das gut überlegen. Zum Glück hatte ich aber einen tollen Sponsor. Der hat mir spaßeshalber gesagt: „Geh doch da einfach mal mit! Vielleicht kommst du an die PH? Vielleicht kannst du da irgendwann einmal unterrichten?“ Das war mein Papa: „Du hast doch nichts zu verlieren, du kannst nur gewinnen!“ Er hat mich motiviert, sodass ich angerufen habe und gefragt habe, ob ich mitfahren darf. Das war mein Einstieg.
Auf der Reise in Schweden 2015 habe ich dann auch erfahren, dass Einfach Heidelberg e.V. gegründet werden soll, eine barrierearme Redaktion mit Leichter Sprache. Das hat mich gleich begeistert und ich wurde auch Gründungsmitglied des Vereins. Das hat mir viele Möglichkeiten eröffnet.
Noch keine Strukturen
Kurze Zeit später gab es dann auch erste Pläne für ein Qualifizierungsprogramm für Bildungsfachkräfte. Das fand ich interessant und habe mich gleich reingefuchst, was das bedeutet.
Ich wollte das unbedingt, aber wusste noch nicht, wo die Qualifizierung stattfinden soll. Ich muss mich bei solchen Angeboten immer fragen: Komme ich dort überhaupt hin? Ich bin dann gemeinsam mit meiner Bezugsbetreuerin der Lebenshilfe durch den strömenden Regen dorthin, zur Fachschule für Sozialwesen der Johannes Diakonie in Neckarbischofsheim. Als ich dann dort war, ist uns erstmal aufgefallen: Das kann da gar nicht stattfinden! Die Anbindung war nicht gut und das Gebäude war nicht barrierefrei. Zum Glück wurde dann ein anderes, barrierefreies Gebäude für die Qualifizierung gefunden, die Graf von Galen-Schule in Heidelberg-Pfaffengrund. Das war die erste Qualifizierung von Bildungsfachkräften in Baden-Württemberg. Vieles musste sich dann auch erst einmal entwickeln und finden. Es gab noch viel zu tun. Und mit meiner Zusage durfte ich mitmachen!
Mit meiner Behinderung auseinandersetzen
Die Qualifizierung zur Bildungsfachkraft war eine spannende Zeit und hat viel Spaß gemacht. Wir waren zu siebt und kannten uns am Anfang noch gar nicht. Aber das ging dann schnell von Null auf Hundert: In drei Jahren haben wir unter anderem mit einem Sprechtrainer gelernt, wie wir vor großen Gruppen sprechen. Und wir haben die Bildungstheorien behandelt, wie zum Beispiel die von Wolfgang Klafki.
Wir haben uns aber auch mit unserer eigenen Behinderung auseinandergesetzt. Ich musste mich fragen: Wie sehr will ich mich öffnen? Und wie möchte in der Öffentlichkeit darüber sprechen? Früher habe ich nie über meine Behinderung gesprochen. Selbst meinem besten Freund habe ich erst sehr spät erzählt, dass ich in einer Werkstatt arbeite. Das war für mich mit Scham verbunden. Dank der Qualifizierung bin ich stolz auf das, was ich heute machen darf. Ich habe mir gesagt: Wenn du das machen willst, musst du dich öffnen!
Ich will dafür auch besonders Stephan Friebe danken. Er war damals Projektleiter des Qualifizierungsprojekts. Er hat mein Leben von Grund auf verändert. Auch ohne die Unterstützung meiner Werkstatt, meiner Familie und meiner Freunde hätte ich das alles nicht geschafft.
Angekommen
2020 hatte ich es dann geschafft! Ich hatte die Qualifizierung erfolgreich bestanden und es ging weiter auf meinem persönlichen Weg: Das Annelie-Wellensiek-Zentrum für Inklusive Bildung wurde im Oktober 2020 im Rahmen einer feierlichen wissenschaftlichen Tagung eröffnet. Bei dieser Feier erhielt ich dann meinen Arbeitsvertrag, den ich ein paar Tage vorher unterzeichnet hatte. Das war unbeschreiblich für mich. Als ich dann auch meine Schlüssel zu meinem (!) Büro bekommen habe, war das ein erhabener Moment für mich. Ich war ab sofort Teil der PH Heidelberg – das war der Wahnsinn! Nach meiner Zeit bei Einfach Heidelberg e.V. schließt sich so ein Kreis, denn ich hatte schon viele Menschen der Hochschule kennengelernt. Jetzt war ich ihr Kollege!
Fast zehn Jahre ist meine Schweden-Reise nun her. Und gefühlt komme ich jeden Tag ein bisschen mehr an der Pädagogischen Hochschule an. Ich kenne auf dem Campus schon viele Menschen. Ich habe das Gefühl, hier kommen die Menschen immer mehr aufeinander zu und leben Inklusion. Unser Campus ist schon sehr offen und vielfältig. Aber es könnte auch noch mehr sein: Ich würde mich deswegen freuen, wenn wir uns noch mehr austauschen und ins Gespräch kommen. Es muss normal sein, dass wir hier mitten drin sind.
Aber ich weiß auch, dass so etwas langsam wachsen muss. Ich komme noch aus einer ganz anderen Zeit. Damals haben Eltern ihren Kindern gesagt: „Die Menschen mit Behinderung lässt man in Ruhe. Die leben ihr Leben.“ Ich finde es toll zu sehen, wie sich das endlich verändert.
Inklusion ist eine Haltungssache. Alle müssen hinschauen und miteinander ins Gespräch kommen, auch wenn es manchmal schwierig ist. Dafür bin ich auch da. Und nach jedem Gespräch sag ich mir dann: Ja, hier bin ich richtig!
Autor: Helmuth Pflantzer ist Bildungsfachkraft an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg.
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