Spiele(n) im Unterricht

Zu sehen ist ein Spielbrett mit Spielkärtchen.

Carsten Rohlfs ist Professor für Schulpädagogik – und Spieleentwickler. Er erzählt im Blog, wie man ein eigenes Spiel verwirklicht und was Spiele(n) für den Unterricht bedeuten.

PURA VIDA ist nicht nur das Lebensmotto in Costa Rica, sondern steht auch für die enorme Artenvielfalt des Landes und das ausgewiesene Ziel, im Einklang mit der Natur und Tierwelt zu leben. Eine gute Idee, dachten wir uns nach der Rückkehr von einer Reise aus Mittelamerika, dies als Titel und Thema für ein Brettspiel zu wählen, in dem es neben logischem Denken um die Sensibilisierung für Biodiversität und den Respekt vor der Tierwelt gehen sollte.

Das Spiel habe ich mit dem ehemaligen Fachleiter für Mathematik an Grundschulen und Spieleautor Ralf zur Linde entwickelt und im Frühjahr 2025 bei dem Spieleverlag Piatnik veröffentlicht. Es handelt sich um ein kniffliges Plättchenlegespiel, das (im wahrsten Wortsinn) spielerisch den Kompetenzerwerb in unterschiedlichen Dimensionen fördert – und einfach Spaß macht.

Zu sehen ist ein Spielbrett mit Spielkärtchen.
Die Spielplättchen von Pura Vida zeigen die Tierwelt von Costa Rico. Foto: privat.

Was braucht man, um ein Spiel zu entwickeln?

Wie aber kommt man dazu, ein Spiel zu entwickeln? Hier sollten mindestens vier Bedingungen erfüllt sein:

  • Man sollte erstens selbst gerne spielen. Sagt man. Bei mir war das peinlicherweise bis zu meinem Einzug in die Spielewelt als Spieleautor gar nicht unbedingt der Fall – bis auf das Spielen mit meinem Sohn. Jetzt aber hat es mich gepackt.
  • Zweitens sollte man Interesse daran haben, zu lernen und zu verstehen, wie Spiele funktionieren, was gute Spiele ausmacht, wie ihre Kernmechanik angelegt ist, welcher inneren Choreografie sie folgen und warum sie so viele Menschen faszinieren. Diese Bedingung sollte ich als Schulpädagoge erfüllen, denn hier sind Spiele wie guter Unterricht: Es steckt sehr viel mehr dahinter, als auf der Oberfläche zu sehen ist. Auch guter Unterricht sollte eine stimmig komponierte Kernmechanik aufweisen.
  • Drittens: Man muss kreativ sein – oder das zumindest von sich glauben. Denn es gilt, eine Spielidee zu finden und ein Bild davon zu entwickeln, wie das Spiel schließlich aussehen und ablaufen soll. Dies konkretisiert sich dann in einem ersten Prototyp, den man den Verlagen vorstellt. Kreativ war ich schon immer, habe beispielsweise gezeichnet und in einer Band gespielt – allerdings ohne wirklich gut zu sein. Da braucht es zwangsläufig Kreativität oder kreative Selbstüberschätzung.
  • Viertens sollte man Freude daran haben, Kindern eine Freude zu machen. Diese Bedingung war natürlich einfach zu erfüllen.

Für mich als Erziehungswissenschaftler kam noch eine fünfte Motivation hinzu, denn mit dem Tag der Einschulung beginnt vielfach noch immer der „Ernst des Lebens“. Auch wenn man diesen Satz seltener von Eltern und Lehrkräften hört, bildet er dennoch recht treffend die Realität ab: Jetzt wird es ernst, ab heute wird gelernt: Spielzeug weg, Stifte raus! Das freie Spiel schleicht sich aus den Lebenswelten der Kinder und zieht sich in die Familien und Peer Groups zurück, bis es dann gänzlich verschwunden ist. Noch vor den Sommerferien aber war es fester Bestandteil des Lebens und Lernens in den Institutionen der Frühen Bildung. In der Schule hat es kaum einen Platz. Da darf man an besonderen Tagen mal sein Lieblingsbrettspiel mitbringen, sich für die Schach-AG melden oder später der Theater-AG beitreten. Alles schön und wichtig. Das Spielen aber findet in einem Schulsystem, das primär auf Leistung fokussiert und Heranwachsende damit einem enormen Druck aussetzt, nur zu außergewöhnlichen Anlässen statt. So erstaunt es nicht, dass die Schulfreude in Deutschland spätestens ab Klasse 3 in dramatischer Weise abnimmt. Und Schule vergisst bisweilen, dass sie nicht nur Lernraum, sondern zugleich ein wichtiger Lebensraum von Kindern und Jugendlichen ist.

Spiel(en) im Unterricht

Spielerisches Lernen und Spielen in Schule und Unterricht könnten bedeutsame Felder schulischer Lern- und Sozialisationsprozesse sein – und Formen einer alternativen Schul- und Unterrichtskultur. Denn sie ermöglichen nicht nur ein Innehalten im hektischen Schulalltag, sondern eröffnen ebenso Räume für Kompetenzentwicklungen auf unterschiedlichen Ebenen, fachlich wie überfachlich (sozial, emotional und kommunikativ – für eine gefährdete Demokratie nicht irrelevant). Zudem zeigen Spiele integrative Funktionen, indem Kinder sich und ihr Gegenüber in einer anderen Rolle wahrnehmen und weil Sprachbarrieren in vielen Spielen keine Rolle spielen, da sie bewusst sprachungebunden konzipiert werden.

Vor diesem Hintergrund erschien es mir wichtig, das Spiel(en) stärker auch in mein wissenschaftliches Arbeiten an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg einzubinden. So bin ich Mitglied des Vereins „Schule und Spiel“, und im Rahmen eines Forschungsprojekts soll ein Lernspiel zur Förderung von Konzentration und Sprachkompetenz entwickelt und im Unterricht an Grundschulen erprobt werden. Daraus entstand die Konzeption einer eigenen Lehrveranstaltung mit dem Titel „Spiel(en) im Unterricht“, die ab dem Sommersemester 2026 angeboten wird, um die Forschungsergebnisse den Studierenden der Pädagogischen Hochschule unmittelbar zugänglich zu machen und auch ihnen den Wert des Spiels für schulische Lernprozesse näherzubringen.

Wenn diese Spiele dann noch Themen wie etwa Biodiversität und Nachhaltigkeit behandeln, die für unsere Gesellschaft von großer Relevanz sind, sind sie vielleicht doch mehr als bloß ein Spiel. Das führt mich zu einem überaus kurzen Schlusswort: PURA VIDA! Denn so begrüßt und verabschiedet man sich in Costa Rica.

Autor: Carsten Rohlfs ist Professor für Schulpädagogik an der PH Heidelberg.

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