In bin Hannah und studiere Sonderpädagogik mit den Schwerpunkten Geistige Entwicklung und Hören. Ich habe ein Auslandssemester an der Hyogo University of Teacher Education in Japan absolviert. Vor dem Start war ich sehr aufgeregt und neugierig, wie alles sein würde, da ich zum ersten Mal nach Japan und ganz allgemein nach Asien reisen würde.
Nach meiner Ankunft war der erste Schock, als ich bemerkte, dass kaum jemand Englisch sprach und ich die einzige Europäerin auf dem Campus war. Die Universität stellte mir ein kleines Zimmer mit Küche und Bad im „International House“ zur Verfügung. In der ersten Woche standen vor allem organisatorische Dinge im Vordergrund: den Wohnsitz anmelden, Putzgebühren zahlen, eine Versicherung abschließen, Kurse aus dem Japanischen ins Englische übersetzen, um herauszufinden, welche ich besuchen möchte, und vieles mehr. Das International Office half mir so gut wie möglich, doch teilweise war ich auf mich allein gestellt. Erst nach vier Wochen bekam ich eine Patin zugewiesen, die mir dann viel geholfen hat.
The Tall Girl with the Tattoos
Anfangs war alles sehr ungewohnt. Da ich die einzige Deutsche auf dem Campus war, wurde ich oft angestarrt, und manche Leute haben mir zugewunken und gekichert, nachdem ich zurück gewunken habe, was sich manchmal anfühlte, als wäre ich ein Star. In den ersten paar Wochen war ich als „the tall girl with the Tattoos“ bekannt. Als die Kurse anfingen, lernte ich schnell nette Leute kennen, die zumindest etwas Englisch sprechen konnten. Sie luden mich ein, montags und mittwochs Volleyball oder Basketball zu spielen. Über diesen Kontakt fand ich viele neue Freund:innen.
Ich musste sehr aus meiner Komfortzone herauskommen, um mit den Leuten in Kontakt zu kommen und sie zu ermutigen, Englisch zu sprechen. Oft gelang dies jedoch nicht, und ich musste mich mit Händen und Füßen verständigen. Die meiste Zeit war das okay, doch wenn ich mich mit größeren Gruppen traf, die nur Japanisch sprachen, fühlte ich mich manchmal etwas einsam. Teilweise war es auch sehr frustrierend, nicht in Gespräche kommen oder witzige Bemerkungen machen zu können. Trotz allem haben sich viele Menschen sehr bemüht, mir zu helfen. Mittlerweile bin ich sehr gut darin, den Kontext mit nur einem Wort zu verstehen. Diese Erfahrung hat mir auch eine neue Perspektive aufgezeigt, die ich für mein späteres Berufsleben gut gebrauchen kann. Ich kann jetzt besser nachvollziehen, wie frustrierend es sein kann, nicht verstanden zu werden.
Mit Freund:innen Küche, Kultur und Familie kennenlernen
Der Campus lag mitten im Nirgendwo und war sehr groß. Es gab ein Schwimmbecken (ohne Wasser), einen großen Sportplatz für Baseball, eine Anlage für Bogenschießen, ein Fitnessstudio mit sehr alten Geräten und viele Gebäude mit Lernplätzen für die Studierenden. Jede:r Student:in teilte sich einen Raum zum Lernen mit fünf bis sechs anderen Personen. Es gab eine große Bibliothek, eine leckere Mensa (die außer Sojanudeln nicht viel vegetarisches Essen anbot), mehrere Wohnhäuser, eine kleine Bäckerei, einen kleinen Einkaufsladen und eine Bank, an der ich kein Geld abheben konnte. Generell muss man in Japan ständig Bargeld dabeihaben, da man in den meisten Läden und Restaurants nicht mit Karte zahlen kann. Nachmittags bis abends fuhr ein kostenloser Bus in die nächste Kleinstadt, in der man Lebensmittel einkaufen oder den Zug nehmen konnte, um nach Kobe oder Osaka zu kommen.
Alle waren sehr offen und freundlich. Egal bei welchen Problemen, ich konnte mich immer an meine Freund:innen wenden und sie haben mir sofort geholfen. Mit ihnen unternahm ich auch viele Ausflüge, sie brachten mir die japanische Kultur und Küche näher und stellten mich ihren Familien vor, was eine große Ehre für mich war. Ich habe hauptsächlich Englischseminare besucht, da ich hoffte, dass dort die Studierenden auch Englisch sprechen könnten. Diese Annahme war jedoch nicht ganz korrekt. Nur ein Bruchteil war gut in der Sprache, obwohl sie alle zukünftige Englischlehrkräfte werden wollten. Es gab drei Seminare, die auf Englisch gehalten wurden, von einer australischen Dozentin. Die anderen zwei waren auf Japanisch, was sehr verwirrend war.
Mein Alltag
Mein Tag begann morgens um 7 Uhr mit einem Kaffee. Montag morgens bis mittags hatte ich Japanischunterricht, der jedoch für Fortgeschrittene war. Dort durfte ich oft Bilder malen und habe Aufgaben für Grundschüler:innen bekommen. Die Lehrerin hat sich sehr viel Mühe gegeben. Zur Mittagspause habe ich mich mit Freunden getroffen und gemeinsam sind wir in die sehr leckere Mensa der Universität gegangen. Dort wurden am Eingang die heutigen Speisen ausgestellt. Man sollte sie nicht anfassen, denn es ist echtes Essen. Daneben gab es drei Automaten, bei denen man sich Tickets für eines der zwei Tagesessen oder die verschiedenen „Standardessen“ wie Ramen, Curry oder Reis mit Chicken ziehen konnte. Vegetarisches Essen gab es in den sechs Monaten vielleicht zwei Mal. Das Essen kostete zwischen 200 und 450 japanische Yen, also umgerechnet etwa 1,50-3 Euro. Die Portionen waren sehr groß und man wurde immer satt. Wenn man schnell genug war, konnte man auch sogenannte „Bento-Boxen“ kaufen und sie in einer der acht Mikrowellen aufwärmen. Außerdem gab es einen Wasser- und Grünteespender, an dem man sich zu jeder Tageszeit kostenlos Getränke abfüllen konnte.
Meistens war ich gegen 16 Uhr fertig und konnte dann mit dem Bus zum Einkaufen fahren. Oft habe ich mich mit Freunden zum Trainieren verabredet oder hatte Freizeitaktivitäten. Von 17 bis 21 Uhr war die Mensa wieder zum Abendessen geöffnet, nach dem gleichen Prinzip wie zur Mittagszeit. An Wochenenden standen größere Ausflüge auf dem Programm, allerdings musste man erst eine halbe Stunde zur Highway-Busstation laufen, da die Campusbusse nur unter der Woche fahren. Ansonsten kann man gut mit dem Bus in größere Städte fahren. Es empfiehlt sich, eine ICOCA-Karte zu kaufen, weil sie das Bezahlen der Busfahrkarten erleichtert.
Schule in Japan
Ich hatte das Glück, insgesamt fünf verschiedene Schulen zu besuchen und dort auch zu unterrichten. Teilweise hatte ich ein:e Übersetzer:in der Klasse. Die Schüler:innen hatten viele witzige Fragen über Deutschland und waren sehr fasziniert, dass ich so groß bin (172 cm). Meine Tattoos und mein Nasenpiercing haben definitiv die meiste Aufmerksamkeit bekommen, da es in Japan verboten ist, mit sichtbaren Tattoos zu arbeiten. Ich durfte in jeder Klassenstufe unterrichten. Es herrscht viel Disziplin in den Klassen, die aus 30 Schüler:innen bestehen. Die Lehrkräfte in Japan beginnen ihren Tag in der Schule um 7:00 Uhr und gehen frühestens um 20:00 Uhr nach Hause. Oft müssen sie auch an Wochenenden arbeiten, da die Schüler:innen teilweise samstags in die Schule gehen oder noch Sportaktivitäten wie z.B. Baseball in der Schule haben. Lehrkraft in Japan zu sein, heißt, viel Arbeit zu haben. In Japan reicht ein Bachelorabschluss, wer möchte, kann noch seinen Master machen.
Ein Land voller Traditionen, Kultur und Freundlichkeit
Ich hatte die große Ehre, viele nette Menschen kennenzulernen, die mich zu sich eingeladen haben und mir ihre Kultur und ihre Welt gezeigt haben. Egal, ob es eine Teezeremonie war, der eigene Schrein zuhause oder das gemeinsame Tragen eines Kimonos, der traditionellen Kleidung – sie haben mir alles mit großer Freude und viel Wissen vermittelt. Alle haben sich viel Mühe gegeben, dass ich mich bei ihnen wie zuhause fühle. Sie haben mir ihre Lieblingsorte gezeigt und immer eine Kleinigkeit mitgebracht, wenn sie an einem Wochenende einen Ausflug ohne mich gemacht haben („Omiyage“).
Unterschiede zwischen Deutschland und Japan
Japan ist wie Deutschland, nur krasser. Auch dort ist die Bürokratie sehr verwirrend und es scheint, als ob viele Bürgerämter immer noch auf Fax-Geräte schwören. Um eine Entscheidung zu treffen, braucht es mindestens drei Meetings, bis sich alle einig sind, und Kartenzahlung ist auch nicht so üblich. Die Kassen in den Supermärkten sind jedoch einzigartig: Man schiebt die Scheine und Münzen in ein Gerät, das einem das passende Rückgeld zurückgibt. Auch in Restaurants bekommt man immer das passende Rückgeld, und es ist unüblich, sogar eher unhöflich, Trinkgeld zu geben. In den Großstädten ist es nie dunkel, viele LED-Tafeln zeigen verschiedene und verrückte Werbungen.
Japan hat viele Bambuswälder und eine sehr vielseitige Natur. Besucht man Okinawa, eine Insel im Süden, fühlt es sich an, als wäre man in Hawaii gelandet. Reist man jedoch nach Hokkaido, landet man in Kanada mit jeder Menge Schnee. Jede Präfektur ist für ein Gericht bekannt, das man unbedingt probieren sollte. Ein kleiner Tipp: Informiert euch vorher, was es ist, sonst verpasst ihr kulinarische Erlebnisse!
Das Leben nach Japan
Ich bin seit Mitte April wieder in Heidelberg. Ich freue mich sehr, meine Familie und Freund:innen wieder näher bei mir zu haben, aber es fällt mir momentan schwer, mich wieder in das Leben in Deutschland einzufinden. Die Erfahrungen, Erlebnisse und Begegnungen, die ich in Japan gemacht habe, waren sehr besonders, und das Leben dort war ganz anders als hier. Hinzu kommt, dass ich viele gute Freund:innen, die ich dort ins Herz geschlossen habe, nicht so schnell wiedersehen werde. Ich vergleiche viele Dinge zwischen Japan und Deutschland. Ich habe viele gute Eigenschaften von Deutschland wiedergefunden, aber auch einiges, was ich gerne verändern würde. Für meine zukünftige Arbeit als Lehrkraft hat mich dieses Erlebnis definitiv gestärkt und ich kann jedem Japan ans Herz legen.
Tipps für einen Aufenthalt in Japan
- Lernt Grundkenntnisse in Japanisch, bevor ihr an die Uni geht. Es wird euch das Leben erleichtern.
- Seid offen für alles und kommt aus eurer Komfortzone heraus.
- Vor dem Essen sagt man „Itadakimasu“ und nach dem Essen „gochisousama deshita“, um Dankbarkeit auszudrücken.
- Nudeln werden geschlürft (wer geräuschempfindlich ist, muss sich zusammenreißen).
- Die Nase wird hochgezogen. Taschentücher werden kaum benutzt.
- Niemand sagt „Gesundheit“ nach dem Niesen.
- Umarmungen sind selten und nur üblich, wenn man sich sehr gut versteht.
- Emotionen werden in der Öffentlichkeit nicht so stark gezeigt.
- Haltet euch an die Regeln.
- Immer Bargeld dabeihaben (bei Convenience Stores kann man super Geld abheben).
- Manche Leute machen zufällig Fotos von euch oder sprechen euch an.
Hannah studiert Sonderpädagogik mit den Schwerpunkten Geistige Entwicklung und Hören.
Schreibe einen Kommentar